Fragment: Gesprächstransskript 72.
Kasuistik Nr. 245/B (2011.05.16, Auszug)
Dr. Romell: Guten Morgen, Jan-Marek. Haben Sie gut geschlafen?
Jan-Marek Kámen: Ich weiß es nicht, Herr Doktor. Ich bin meistens zu stoned, um es beurteilen zu können.
DrR: Glauben Sie mir, die Medikamente sind gut für Sie.
JMK: Halleluja. Gute Medikamente. Gut schlafen. Ende gut, alles gut.
DrR: Nun, ich finde, Sie machen Fortschritte. Erinnern Sie sich noch, wie Sie sich mit den Pflegern geprügelt haben?
JMK: Sie meinen die Wärter.
DrR: Die Pfleger.
JMK: Die Wärter.
DrR: Das hier ist kein Gefängnis, Jan-Marek.
JMK: Sie wollen mir nur einreden, es ist ein Irrenhaus, so wie Sie mir einreden wollen, ich sei verrückt. Aber sehen Sie sich an, was Sie hier den ganzen Tag tun. Wenn ich verrückt bin, sind Sie es schon lange.
DrR: Das mag sein, Jan-Marek. Aber ich bekomme dafür ein Gehalt. Schauen Sie sich an, wohin es Sie gebracht hat.
(Dr. Romell blättert in Unterlagen)
DrR: Ich habe Ihre gestrigen Aufzeichnungen gelesen. Sehr aufschlussreich. Möchten Sie darüber reden?
JMK: Ich nehme an, Sie wollen darüber reden.
DrR: Ich würde gerne darüber reden. Ist das für Sie in Ordnung?
(Patient nickt)
DrR: Erklären Sie mir bitte, wie sich diese drei Gruppen, die sich da in Ihrem Wohnzimmer einfanden, zu einander stellen. Lux Aeterna, Kerygma und Oktagon.
JMK: Das ist sehr... Sehr lehrerhaft, es mich aufsagen zu lassen.
DrR: Weshalb ist es lehrerhaft?
JMK: Weil Sie all diese Antworten schon kennen. Es sind also lehrerhafte Fragen.
DrR: Sie meinen rhetorische Fragen?
JMK: Das sage ich doch. Wenn Sie mich nicht ständig mit Drogen vollpumpen würden, würde ich sicherlich weniger nuscheln.
DrR: Gehen wir alles der Reihe nach durch. Wer ist Lux Aeterna?
JMK: Sie denken vermutlich, dass das Teufelsanbeter sind.
DrR: Aber was denken Sie?
JMK: Glauben Sie mir, die beten zu niemandem.
DrR: Aber der Teufel ist im Spiel.
JMK: Den trifft man nicht sehr oft. Aber ja, er sitzt stets am Spieltisch. Die Lux Aeterna ist sein Arm auf dieser Welt. Sein Muskel. Besser gesagt seine Hand. Er hat immer seine Hand im Spiel.
DrR: Sie beschreiben das als... die ›Schatten‹.
JMK: Hören Sie doch zu. Ich beschreibe gar nichts. Ich sage nur was war. Die ›Inferni‹ sind real. Aber man kriegt heute nicht mehr sehr viele Dämonen zu sehen.
DrR: Also sind die Mitglieder der Lux Aeterna Dämonen?
JMK: Nein. Sie sind deren Arm. Ein Arm vertritt den Gedanken. Klar? Mann. Sie könnten mich einfach ausnüchtern lassen. Ist doch Blödsinn sowas...
DrR: Lux Aeterna besteht also aus Menschen.
(Stille)
JMK: Ja, kann man wohl so sagen.
DrR: Warum haben Sie gezögert?
JMK: Ich denke, wenn Menschen eine Weile etwas tun, was andere Menschen nicht tun, hören sie auf richtige Menschen zu sein.
DrR: Was sind sie dann?
(Stille)
JMK: Untote. (senkt die Stimme) Ich habe die Antwort darauf, wer Untote wirklich sind. Sehen Sie sich Horrorfilme, Vampir-Romane, Werwölfe an... Es ist so klar, Mann. Diese Sachen, diese... moderne Mythologie gab es vor dem Ende des 19. Jahrhunderts kaum. Und wer taucht zur selben Zeit auf?
DrR: Lux Aeterna?
JMK: Genau!
DrR: Aber sie sind doch keine Vampire.
JMK: Sie meinen, ob sie das Blut halbnackter Jungfrauen trinken? Mann. Die interessieren sich nicht für Nackte oder Jungfrauen. Aber das ist das Problem. (spricht wieder leise) Wenn die sich für das Blut nackter Jungfrauen interessieren würden, wären sie keine Vampire. Verstehen Sie das?
DrR: Erklären Sie es mir.
JMK (lacht konspirativ): Es ist doch ganz klar. Menschen sind Menschen, weil Menschen sterben. Menschen haben Angst. Angst ist das erste Gefühl. Alles andere kommt später. Wenn Sie aber keine Angst haben und nicht sterben können, sind Sie kein Mensch mehr. Und dann interessieren Sie sich auch nicht mehr für nackte Jungfrauen. Capisce?
DrR: Woran haben Sie das gemerkt?
JMK: Die haben nie etwas miteinander oder untereinander. Verstehen Sie? Diese Jungs und Mädels verbringen so viel Zeit in denselben Räumen, auf Reisen, in Hotelzimmern... Techtelmechtel? Niemals. Ich meine, wo gibt es das denn? Die sind immer gut angezogen, haben aber keinen Spaß dabei, Kleidung auszusuchen. Sie sind freundlich und lächeln viel, sind charmant. Aber die meiste Zeit fühlt sich das wie...
(Schweigen)
JMK:...wie eine Maske, die sie tragen. Wie eine Theateraufführung.
DrR: Und wieso müssen sie nicht sterben?
JMK: Weil die Dämonen ihnen einen Weg gezeigt haben, den Tod zu überwinden.
DrR: In dem sie aus dem Jenseits kommen und Körper von anderen Menschen stehlen.
JMK: Aschewerdung... Nicht die feine englische Art. (zögert) Aber irgendwie auch schön...
DrR: Weshalb ist es schön?
JMK: Sie stehlen nur von jenen, die ohnehin sterben würden.
DrR: Und das ist Ihrer Freundin passiert?
JMK: Ja... Zuerst war sie Evelyn, dann war sie Talitha. Nur der Körper blieb derselbe. Wie ein Auto.
DrR: Was bedeutet das ›wie ein Auto‹?
JMK: Wie wenn Sie morgens in die Garage gehen und da ist ihr Auto, so wie Sie es kennen, aber in Wirklichkeit hat jemand Ihren Motor ausgetauscht und einen V8-Motor aus einem Rennwagen eingebaut.
DrR: Und was ist das Kerygma?
JMK: Das Gegenprogramm. Es ist wie Lux Aeterna, nur umgekehrt.
DrR: Umgekehrt?
JMK: Engel.
DrR: Das Kerygma sind Engel?
JMK: Nein, ich sagte doch, dasselbe, nur umgekehrt. Die sind auch Arme, Hände, Muskeln.
DrR: Und was will das Oktagon von Ihnen?
JMK: Ich vermute, das Oktagon will die Engel und Dämonen los werden. Wenn keiner mehr an sie glaubt, sind sie weg. Leute wie ich, Leute welche die Wahrheit bezeugen können, sind da im Weg. Darum wollten die mich schnappen und beseitigen.
DrR: Und wer ist Oberst Stahl?
JMK: Ein Armeebonze, der für das Oktagon arbeitet. Vermutlich kennen Sie ihn besser.
DrR: Warum glauben Sie das?
JMK: Weil Sie auch ein Handlanger des Oktagon sind.
DrR: Warum sagen Sie das?
JMK: Weil ihr hinter mir her seid. Ich bin der lebende Beweis für eine Welt, die ihr nicht kontrollieren könnt.
DrR: Jan-Marek, alles was ich kontrollieren möchte, sind Ihre Ängste, Ihre Schlafstörungen und die Depressionen, die Sie haben. Das möchten Sie doch auch, mein Lieber.
JMK: Ach ja? Wieso kriege ich dann kein Levomepromazin und Haldol, wie Ihre anderen Patienten?
DrR: Weil wie zuerst darüber sprechen müssen, was Ihnen fehlt, bevor ich es Ihnen geben kann.
JMK: Aber etwas Klarheit im Kopf wäre auch ganz nett. Unverschnickt und unverschnackt.
DrR: Wir müssen eins nach dem anderen machen. Einen Schritt vor dem Nächsten...
JMK: Haben Sie den Verstand verloren? Ich bin nicht Napoleon! Sie mögen hier auf Ihrem kleinen, rationalen Kreuzzug sein, aber glauben Sie mir eins: diese Sache ist größer, als wir zwei. Größer als Ihr Verein!
DrR: Machen Sie sich Sorgen, wegen der Zukunft?
JMK: Oh ja-a-a. Hallo? Destabilisierung von Krisenregionen? Waffenproliferation? Terrorismus? Das Mirillium? Die Endzeit?
DrR: Denken Sie, der 11. September hat damit etwas zu tun?
JMK:: Das war wirklich Pech.
DrR: Aber Sie waren nicht hier, als das geschah, nicht wahr?
JMK: Ich war weit weg... Weiter, als Sie es sich vorstellen können.
DrR: Weshalb glauben Sie, konnten Sie zurückkommen?
JMK: Sie denken wohl, alles was mit mir geschehen ist, war Zufall? Wissen Sie, was mir nach meinem ersten Beneficium passiert ist? Ich wurde von Skins zusammengeschlagen. Ich meine, was für ein Zufall ist das denn, ha? Die wollen mich einfach mürbe machen.
DrR: Wer sind ›die‹, Jan-Marek?
JMK: Die verdammten Uhrmacher. Die Heizungsableser. Alle. Sie halten sich für ein Uhrwerk. Verdammte Engländer.
DrR: Engländer?
JMK: Sie wissen schon, all diese alten Kirchen. All die Wandbilder. Es geht immer um Kontrolle. Mann! Wann, glauben Sie, bin ich das letzte Mal an eine grüne Ampel geraten? Na? Wann? Immer rot. Ich wäre besser mit den Dänen gefahren.
DrR: Sie meinen Dämonen. Ich frage mich nur... Wenn die Sie aus dem Weg räumen wollen, wieso haben die Ihnen gestattet zurückzukehren?
JMK: Die wollen mich nicht aus dem Weg räumen, die wollen mich mürbe machen. Das sagte ich doch. Ihre Leute, ihr wollt mich aus dem Weg räumen.
DrR: Aber Jan-Marek, wenn das wahr wäre, weshalb würden wir zusammen so viele Sitzungen machen?
(Schweigen)
JMK (mit leiser Stimme): Weil Sie nicht daran glauben, dass ich krank bin. Hier geht es in Wirklichkeit um Informationen. Sie wollen wissen, was ich weiß.
Handschriftliche Anmerkung: Form. Denkstörungen nur gering. BtM? Inhaltliche DS exorb. F20 kann trotz symptom. Alters ausgeschlossen werden. Fokus auf Holophrenie.