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Dänemark als Totenreich

Anmerkungen zu Henrik Pontoppidans Roman "De Dødes Rige" von Erich Schlaikjer

Erich Schlaikjer (1867–1928) war Schriftsteller, Schauspieler und Theaterkritiker.

Dieser Artikel erschien am 6. und 7. April 1923 in der Tageszeitung Sonderburger Zeitung, Organ für die deutsche Volksgruppe in Sønderborg 1920-29.

I

Im Jahre des Heils 1895 sass ich in einem einfenstrigen Hinterstübchen mit der Aussicht über das Dächermeer des Berliner Nordens. Meine ersten Abhandlungen waren soeben erschienen und ich führte das Leben eines literarischen Zigeuners, das in den äusseren Verhältnissen zwar arm, aber an inneren Werten reich ist. Bei einem Redaktionsbesuch fragte mich der Redakteur, ob ich dänisch könne. Er habe in der Barthschen "Nation"1 die Anzeige einer dänischen Novellensammlung gefunden, die das Leben der Landarbeiter schilderte und da die Agrarfrage augenblicklich die Oeffentlichkeit beherrsche, wäre das am Ende etwas für uns. Ich antwortete darauf, dass ich ein dänisches Buch zu lesen imstande sei, worauf er das Buch in Kopenhagen bestellen liess. Als es in meinem einfenstrigen Hinterstübchen auf dem Tisch lag, führte es den Titel "Fra Hytterne" und war von einem Schriftsteller Henrik Pontoppidan geschrieben, der mir damals zum erstenmal begegnete und der auch in Dänemark selber noch in den literarischen Anfängen war.

"Fra Hytterne" gehört meines Wissens zu den frühesten Büchern Pontoppidans und greift sehr stark in die Seele. Die Anfangswerke bedeutender Schriftsteller sind im allgemeinen aus einer so frischen, ursprünglichen Kraft heraus geboren, dass sie in diesem Punkt von den späteren Büchern selten übertroffen werden. Pontoppidan hat seitdem viel durchlebt und durchlitten, seine künstlerischen Mittel sind reicher geworden, die virtuose Beherrschung des technischen Apparats hat zugenommen, seine Kraft aber, die menschliche Seele zu erschüttern, war nie grösser als in diesem dünnen Band und wird auch nie grösser werden. Wir können im Mannesalter reicher sein als in unserer Jugend, weil wir das Leben inzwischen in seinem ganzen Umfang kennengelernt haben, wir können klug sein, wo wir früher töricht waren, stärker als in der Jugend sind wir nie.

Als ich mit dem Buch fertig war, hatte ich nicht nur eine Reihe von schneidenden Tragödien aus den strohgedeckten Hütten der dänischen Häusler erlebt, auch die versunkene Welt der dänischen Sprache war in mir wachgerufen worden. Es ging mir damals, wie es wohl den meisten jungen Schleswigern ging, die innerhalb der deutschen Kultur lebten: ich hatte das Vorhandensein der dänischen Sprache sozusagen vollkommen vergessen und machte von ihr nie auch nur den allermindesten Gebrauch. J.P. Jacobsen, den ich damals las, las ich in der Reklamschen Uebersetzung und hatte nie auch nur eine Sekunde lang das Bedürfnis, ihn in der dänischen Ursprache zu lesen. Kam mir einmal durch irgendeinen Zufall ein Buch dänisch in die Hand, wie es mir mit Ibsens "Vildanden" und, wenn ich recht erinnere, auch mit Drachmanns "Forskrevet" erging, so blieb's ein Zufall, der keinerlei Folgen nach sich zog. Pontoppidans Buch hatte vielleicht darum eine erweckende Kraft, weil es mitten aus der dänischen Landbevölkerung stammte, während die beiden soeben genannten Bücher in Christiania und Kopenhagen spielten und ein mehr internationales europäisches Gesicht zeigten. Jedenfalls rief Pontoppidan die tief eingeschlafene dänische Sprache in mir wach, und von dem Augenblick an begann ich, mich mit dem nationalen Problem zu beschäftigen, das in meiner nordschleswigschen Heimat vorhanden war.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in einem westlichen Villenvorort von Berlin und bin kein literarischer Zigeuner mehr. Wiederum aber ist es ein Buch von Pontoppidan, das mir eine Fügung der publizistischen Arbeit in die Hände gegeben hat und wiederum hat es etwas in mir wachgerufen, das am Versinken war und doch am besten nicht versinkt.

Im Krieg wirft jedes Land den Schleier und die in ihm vorhandenen Tatsachen werden sichtbar, sowie sich in der Stunde der Not der Charakter eines Menschen offenbart, der im ruhigen Alltag verhüllt zu sein pflegt. Als im Jahre 1914 der Weltkrieg ausbrach, zerriss der Schleier, den die gefällige Lüge über Dänemark gebreitet hatte, und ich sah mit Schrecken, dass das Dänemark von 1914 nicht mehr das Dänemark war, das ich 1897 besucht und studiert hatte. Während ich aus der Ferne annahm, dass der Sieg der Bauernlinken, der um die Jahrhundertwende eintrat, den politischen Idealismus des Landes gestärkt habe, entfaltete sich nun in der Kopenhagener Presse ein Höllenkonzert, das nur unter der Voraussetzung einer vollkommen zerrütteten Moral möglich sein konnte. Schliesslich war das Land ja neutral und das allerbescheidensten Verantwortungsgefühl hätte geboten, diesen Zustand auch in der Presse widerzuspiegeln. Wenn auch die Presse neutral blieb, bot die Neutralität gegen beide kämpfenden Mächte einen bestimmten Schutz, denn beide mussten dann darauf bedacht sein, die neutrale Stimmung nicht in eine feindliche zu verwandeln. Als die dänische Presse die dänische Neutralität aufhob und sich mit einer wahren Raserei der Entente an den Hals warf, wurde die Entente von allen Rücksichten entbunden und die dänisch-westindischen Inseln gingen den Weg, den dänische Besitzungen im Lauf der Geschichte zu gehen pflegen. Deutschland aber musste unter dem Druck der dänischen Volksstimmung in Schleswig-Holstein wertvolle Truppen festlegen, wodurch seine Söhne an der Westfront umso erfolgreicher totgeschlagen werden konnten, und damit war der Wert der dänischen Neutralität Deutschland gegenüber aufgehoben. Während ein historisches Gericht von erschütternder Gewalt über die Erde ging, entblösste die Kopenhagener Presse in ihrer überwältigenden Mehrheit das Land vor jedem Schutz und schien nur die eine Aufgabe zu kennen, aus einer vorhandenen deutschfeindlichen Stimmung einen möglichst grossen Abonnentengewinn herauszuholen.

Unter allen Faktoren, die das politische Schicksal eines Landes bestimmen, ist nicht einer, der so unzerbrechlich wäre, wie die geographische Lage. Die Bündnisse der Grossmächte vergehen wie das Gras auf dem Felde. Man bekriegt sich heute und übermorgen schlägt man sich zusammen gegen einen gemeinsamen Dritten. Die europäische Situation wechselt und mit ihr wechselt das Verhältnis der Grossmächte untereinander. Es kann den Dänen wenigstens äusserlich nicht entgangen sein, dass Ludendorff das zaristische Russland bei Tannenberg mit dem Hammer Thors so grimmig zusammenschlug, dass es für immer aus der Geschichte schwand. Obwohl seit der Schlacht aber nur einige lumpige Jahre vergangen sind, sehnen sich die Deutschen und Russen nach einem Zusammenschluss und müssen sich danach sehnen, weil inzwischen eine neue historische Situation entstanden ist. England und Frankreich haben gemeinsam gegen uns gekämpft, nach unserer Niederlage aber sind sie in eine unlöslischen Interessenkonflikt geraten und vertragen gegenwärtig kaum, einander zu sehen. Es braucht nicht verschwiegen zu werden, dass französische Offiziere, die in offizieller Mission bei uns sind, hier in Berlin ganz offen mit uns Deutschen den Plan eines deutsch-französischen Bündnisses gegen England erörtern, wobei sie freilich kein Glück haben, da wir gegen die englische Seemacht auch zusammen nichts auszurichten vermöchten. Die historische Situation wechselt, die Bündnisse wechseln mit ihr, aber die geographischen Tatsachen liegen unabänderlich fest.

Nun ist es auch den dänischen Schulknaben bekannt, dass wir mit Dänemark landfest sind, und dass die Deutschen gerade zu Lande das stärkste Kriegervolk Europas sind, konnte man in den Tagen des Weltkrieges auch bei einem dänischen Schulknaben in Erfahrung bringen. In dem Augenblick aber, in dem die deutsche Landmacht in dem grössten Krieg, den die Erde je gesehen hat, eine wahrhaft gigantische Kraft bewies, betrieb die bürgerliche Presse Kopenhagens ihr Hetzgeschäft, als wäre diese Landmacht und ihre festländische Verbindung mit Dänemark nicht auf der Welt. Politische Einsichtslosigkeit kann man verzeihen, man kann es besonders Dänemark gegenüber, das auf künstlerischem Gebiet so grosse und wertvolle Eigenschaften hat. Dass so klar zu Tage liegende Tatsachen aber aus Mangel an politischen Talent sollten übersehen worden sein, ist eine ganz unmögliche Annahme. Wenn sie aber nicht übersehen wurden, konnte das journalistische Hetzgeschäft nur zustande kommen, wenn in den Seelen der Journalisten wie ihrer Leser jedes Gefühl der Verantwortung erloschen war. – Als die dänische Presse die Neutralität aufhob, musste in Deutschland die Gegnerschaft wachgerufen werden, aber es hätte immer noch eine sachliche Gegnerschaft in sachlichen Formen sein können, wenn der Konflikt nicht vergiftet worden wäre. Jede Niederlage ist eine Schule Gottes, in die ein Volk hineingeschickt wird, um seine Missgriffe und Versäumnisse zu erkennen. In Deutschland wird man in nationalen Kreisen nie hören, dass wir die Schuld an Versailles beim Gegner suchen, wir suchen sie vielmehr alle miteinander bei uns selber und suchen die innerdeutschen Zustände zu ändern, die den jüdischen Dolchstoss2 möglich machten. Dänemark ist leider kein brauchbarer Zögling in der historischen Schule des lieben Gottes und hat darum auch im Laufe der Zeit einen immer schlechteren Klassenplatz erhalten. Dänemark hat seit 1871 Preussen-Deutschland in allen nur möglichen Formen herabzusetzen versucht und hat darin seine Rache für 64 gesucht und gefunden. Wenn ein Volk aber die Schmähsucht so in ein System bringt, lernt es aus der Niederlage nichts und entwickelt in seiner eigenen Seele lediglich das Gift des Thersites. In der Gesinnung des dänischen Volkes Deutschland gegenüber hatte sich zu seinem eigenen schweren Unheil traurig viel Natterngift entwickelt, und dieses Gift wurde nun von den Kopenhagener Journalisten verspritzt.

Was in Dänemark in den Kriegsjahren an infamer Besudelung der deutschen Ehre und des deutschen Namens geleistet worden ist, übersteigt alle menschlichen Begriffe, und diese rabenschwarze politische Unwissenheit in Verbindung mit der frivolsten Niedertracht drohte mir den Atem zu nehmen. Der notwendige Hass des nun einmal vorhandenen Kampfes muss ja unter allen Umständen da sein, in mir aber drohte er die Alleinherrschaft an sich zu reissen, und das ist trotz allem nun doch nicht das Richtige. Ich bin im politischen Kampf von jeder Empfindsamkeit frei und hasse die ranzige Sentimentalität, die darüber meint greinen zu müssen, dass Klingen Wunden schlagen und dass man sich im Kampf unter Umständen den Tod holt. Ich bin durchaus der Meinung, dass die dänischen Schändungen der deutschen Ehre am rechten Tag in der rechten Weise vergolten werden müssen, und das Land mag vor sich selber Klage führen, wenn ihm der Tag der Vergeltung dunkel erscheinen sollte. Trotzdem aber ist es weder klug noch gut, die menschlichen Seelen zu vergessen, die in Dänemark hinter der deutschfeindlichen Fassade liegen, und ich war im Begriff, sie zu vergessen. Dass gerade Pontoppidan meine alte Teilnahme am dänischen Schicksal wieder wachrief, ist schwerlich ein Zufall, denn er ist bei aller Ententefreundlichkeit ein nobler Charakter, der seinem Vaterland mit unbestechlicher Wahrheitsliebe gegenübersteht. Am Ende mag auch der sachliche Inhalt des Buchs meine Teilnahme geweckt haben, denn es ist kein lustiger Bericht, den Pontoppidan von Dänemark erstattet. Er spürt, dass sein Land vesinkt, ohne zu wissen, warum es versinkt, und sein Buch ist ein einziger erschütternder Verzweiflungsschrei der untergehenden dänischen Seele. Wie es im einzelnen aussieht und was es im einzelnen enthält, wollen wir unseren Lesern im nächsten Artikel vor Augen führen.

II

Wenn man aus den Zeitungen weiss, dass der Roman die politischen Zustände Dänemarks schildert, kommet man leicht zu dem vorgefassten Urteil, dass es sich um einen sozialen Roman handeln müsse und läuft dann die Gefahr einer Enttäuschung. Pontoppidan schildert nicht soziale Klassen, um dann diese Klassen miteinander kämpfen zu lassen, er schildert den Seelenzustand, den eine bestimmte politische Entwicklung im dänischen Volk geschaffen hat, und seine Arbeit ist also rein psychologischer Natur. Er hat in früheren Büchern die sozialen Klassen geschildert, er tut es in diesem Buch nicht und kann es auch nicht tun, weil er vom Klassenkampf nichts erwartet und an allen Klassen in der gleichen Weise verzweifelt. Er hat die Erfahrung gemacht, dass hinter allen Klassen der egoistische Wille liegt und dass die Gesetze die sie im Parlament schaffen, die Seelen im Lande nicht glücklicher, sondern immer unglücklicher machen. Hinter dem Verzicht auf den sozialen Roman liegt also nicht etwa der mangelnde Blick für das Vorhandensein des sozialen Kampfes, und ebensowenig die Abwesenheit der Fähigkeit, soziale Kämpfe schildern zu können: der bittere Gedanke liegt dahinter, dass der Klassenkampf der demokratischen Bauern, Häusler und Arbeiter das dänische Volk nur immer kränker, schwächer und elender gemacht hat.

Weil Pontoppidan am politischen Apparat verzweifelt, schildert er ihn nicht mehr, und in dieser Verzweiflung ist er ein echter Sohn seines Landes. Dänemark hat Namen wie Andersen, J.P. Jakobsen, Thorwaldsen in die Geschichte der Menschheit hineingechrieben und diese Namen werden nie vergehen, einen Staatsmann aber hat es wenigstens in der modernen Zeit nicht hervorgebracht und diese Eigenart der dänischen Begabung spiegelt sich auch in Pontoppidan. Als er am Kampf der Armut mit gläubiger Seele teilnahm, schrieb er "Fra Hytterne". Als er in den Tagen des Provisoriums mit der Linken gegen die Rechte ging, schrieb er "Skyer". Als er an aller Politik verzweifelte, schrieb er "De Dødes Rige". Ob er nun glaubte, kämpfte oder verzweifelte, immer schrieb er ein Buch und mithin ist er am Buch nicht verzweifelt, denn man schreibt keine Bücher mehr, wenn man an ihnen verzweifelt. Pontoppidan ist ein geborener Künstler und kann darum an allem Möglichen verzweifeln, nur an der Kunst seiner Bücher verzweifelt er nie. In der gleiche Weise kann ein Staatsmann an allem Möglichen verzweifeln, nur nicht am Staat, und wenn ein geborener Feldherr an garnichts mehr glaubt, so glaubt er doch immer noch an den Krieg. Es trägt ein jeder seine Bestimmung in der Seele und an dieser Bestimmung wird er nicht irre, ob auch alles andere zerbräche. Der geniale Preussenkönig Friedrich II verzweifelte an so Vielem, schliesslich wohl an allem, bestimmt aber an seinem menschlichen Glück. Er trug das Gift im Siegelring bei sich, weil er den Anspruch zu haben glaubte, nach einem dem Staat geopferten Leben Selbstmord begehen zu dürfen, um im Krieg nicht dem Feind in die Hände zu fallen. Schliesslich sanken die Schatten der Einsamkeit und der Verbitterung so tief auf ihn herab, dass er aus Gleichgültigkeit gegen die elende Welt auch sein Aeusseres gänzlich vernachlässigte. Wenn aber die Soldaten zur Parade aufgestellt waren, ging der einsame verfinsterte Mann in seiner verwahrlosten Uniform die staubige Chaussee zum Kasernenplatz hinaus und sah die gleichen Gewehrgriffe zum zehntausendstenmal; denn er war Feldherr und wenn die Soldaten riefen, musste er kommen. Dass Pontoppidan an der Politik verzweifelte, beweist, dass die Politik in seiner Seele nicht stark entwickelt ist, und diesen Wesenszug teilt er mit dem ganzen dänischen Volk. Die Geschichte der dänischen Kunst ist ruhmreich und ehrenvoll. Die politische Geschichte Dänemarks ist ein Auflösungsprozess, der immer neues Unheil gebiert und der nach der Annexion Nordschleswigs seinem dunkelsten Kapitel zustrebt. Ob in dem Dunkel der Zukunft (wie in dem tiefsten Dunkel der Tragödie) das Licht der Erkenntnis und der endgültige Umschwung geboren wird? Wir wissen es nicht, aber es ist uns nicht verwehrt, es zu hoffen.

Pontoppidans Roman liegt künstlerisch etwa in der Sphäre unseres Wilhelm von Polenz3, und diese Sphäre liegt hoch. Eine gewisse Schwäche unterläuft ihm in der Charakterzeichnung der Jytte, die man wohl als die weibliche Hauptperson ansprechen darf. Jytte ist eine vielumwordene Dame, und wenn sie wieder einmal über einen Freier grübelt und sich die Frage vorlegt: "Nehme ich ihn oder nehme ich ihn nicht?" wird man gelegentlich etwas ungeduldig und wünscht, dass sie endlich unter die Haube und ins Wochenbett kommen möge. Die Ungeduld entsteht, weil der Verfasser ihr Inneres nicht so klar zu zeichnen weiss, dass wir notwendig daran Anteil nehmen müssen. Die Tragik ihres Lebens ist, dass sie vor der Tigernatur der Erotik erschrickt, um schliesslich doch ihren Mann unter dem Einfluss der erotischen Sinnlichkeit zu wählen und den Freund ihrer Seele geben zu lassen. Es gibt Stellen, wo Pontoppidan auf sehr aufmerksame Leser rechnen muss, wenn er wünscht, dass ihnen die Psychologie der Gestalt zum Bewusstsein kommen soll, und an diesen Stellen meldet sich dann die Ungeduld bei der ewigen Unentschlossenheit Jyttes. Der tragische Ausgang ihres Schicksals wirft dann aber alle Bedenken über den Haufen und greift sehr stark ans Herz.

Am meisten dänisch ist in dem Buch das Kapitel, das unten am Mittelmeer spielt. Obwohl wir hier an einer fremden Küste sind und obwohl ein internationales Badepublikum auftritt, entfaltet sich hier die besondere Dänennatur Pontoppidans am stärksten und am schönsten. In dem Ineinanderspielen von Küste, Meer und Sonne sieht der Dichter einen südländischen Farbenrausch, der in seiner Festlichkeit und im Reichtum der Abstufungen schwerlich ausserhalb Dänemarks gesehen werden könnte. Ich habe den Eindruck, dass dieses Kapitel nicht von Polenz, nicht in Schweden, nicht in Norwegen, geschrieben werden konnte, sondern eben nur in Dänemark. Es ist trotz der internationalen Staffage der nationalste Klang in dem Buch, wenigstens auf künstlerischem Gebiet, denn auf historischem Gebiet ist die politische Ratlosigkeit in Verbindung mit der politischen Verzweiflung leider auch dänisch-national genug.

Die politische Verzweiflung ist schlimm und weckt die Teilnahme, trotz allem, was zwischen uns vorgefallen ist.

"Wir sind auf dem besten Wage, eine lächerliche Karikatur unserer Rasse zu werden. Gelingt es uns nicht, das junge Geschlecht innerhalb zehn Jahren nüchtern zu machen, sind wir kaput. Das ist meine sichere Ueberzeugung," sagt in dem Buch der als idealistisch und verständig geschilderte Dr. Gaardbo.

"Wenn das Ganze nicht über unserm Kopfe zusammenbrechen soll, ist es dringend notwendig, dass wir jetzt alle gesunden und guten Kräfte sammeln und ihnen Arbeitsruhe verschaffen," sagt der Ministerpräsident Thyrstrup.

"Die Zeit ist aus den Fugen und muss wieder zur Vernunft gebracht werden. Aus dem erträumten Land des Glücks ist nichts geworden. Das gewissenlose Geldverdienen wird gefeiert. Die Jugend denkt nur noch an ihre Karriere, Hoffningslosigkeit und eine tötliche Gleichgültigkeit ergreifen wie eine ansteckende Krankheit gerade die Besten unter ihnen. Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass wir in eine furchtbare Katastrophe hineingleiten," sagt Frau Abildgaard.

"Braucht man sich zu wundern, dass die Fremden uns ein zum Tod verurteiltes Volk nennen?" fragt der bereits genannte Dr. Gaardbo.

"Ich glaube, dass unser Schiff den Totenkopf als Flagge führt und dass wir eines schönen Tages alle miteinander zugrunde gehen werden," sagt der Gutsbesitzer Dihmer, und auf diesen Ton ist das ganze Buch gestimmt.

Als Pontoppidan anfing, schrieb er "Fra Hytterne" und entschleierte die Tragödien, die in der armen Welt der Häusler das Menschenherz erschüttern. Nunmehr neigt er zu der Ansicht, dass der dänische Häusler mit seiner Kuh und seinen vier Hühnern der glücklichste Mensch der Erde ist. Der Weg ist in der Form eines Kreises durchwandert und er steht wieder am Ausgangspunkt. Die jahrzehntelange Wanderung war ohne Sinn. Nichts ist besser und nichts ist anders geworden. Nur die Hoffnungen sind zerbrochen.

So wehmütig das Buch aber auch anmutet, ist doch ein Licht in ihm vorhanden und dieses Licht brennt in der Verzweiflung. Erst wenn ein Volk sich in schlechten Zuständen wohl fühlt, ist es endgültig verloren. Solange es an den Zuständen noch verzweifelt, ist die Sehnsucht nach dem Licht noch vorhanden und die Verzweiflung der dänischen Seele ist darum im gegenwärtigen Augenblick die beste und vielleicht die einzige Bürgschaft für die Zukunft. Wo die Verzweiflung noch wohnt, ist Rettung möglich. Wenn auch die Verzweiflung erlischt, tritt die dumpfe Ergebung ein und die letze Nacht bricht an.

Wir sagten bereits, dass Pontoppidan mit dem ganzen dänischen Volk den gering entwickelten Sinn für die historischen Zusammenhänge teilt. Es ist das Schicksal des dänischen Volks gewesen, diesen Sinn nicht zu haben und von den europäischen Vorgängen nicht eine Silbe zu verstehen. Wir begreifen darum auch, dass Pontoppidan so wenig wie sein Volk einzusehen vermöchte, das eine Niederlage Deutschlands Dänemark in die Sklaverei der Entente bringen musste. Erstaunlich aber ist, dass er nicht zum mindesten das sah, was in Dänemark unmittelbar unter seinen Augen vorhanden war.

Als Nordschleswig an Dänemark fiel, schrieb Pontoppidan ein Gedicht, das durch ein unangebrachtes Wort gegen Deutschland entstellt ist, im übrigen aber echte Empfindung verrät. Wir haben für dieses Gedicht jedes nur mögliche Verständnis und begreifen selbstverständlich, dass Dänemark an den abgetrennten Dänen hing, wie wir an unsern abgetrennten deutschen Brüdern hängen. Wenn Pontoppidan aber das dänische Schleswig liebte, wie soll ich mich dann erklären, dass er ihm die Pest an den Hals wünschte? Wusste Pontoppidan nicht, dass auch Angeln einmal dänisch war und dass sein Dänentum längst gestorben ist? Wusste er nicht dass auch das Dänentum in Nordschleswig eine wandelbare Grösse ist, die wachsen und zunehmen, aber auch welken und sterben kann? War ihm bekannt, dass selbst ein anscheinend geschenktes Nordschleswig immer noch administrativ und politisch erobert werden musste, wenn nicht das schleswigsche Dänentum Schaden nehmen sollte?

Wenn ihm das alles bekannt war, warum wusste er dann nicht, das kranke Staaten nichts zu erobern pflegen?? Hatte er nicht bemerkt, dass die dänische Presse in Nordschleswig bis zum Krieg Dänemark als ein Land der Verheissung und der sonnigen politischen Erfüllung geschildert hatte? Da nun aber Dänemark so war, wie er es in seinem Roman schildert, musste er sich dann nicht sagen, dass eine tiefe Enttäuschung der dänischen Nordschleswiger die unentrinnbare Folge sein musste? Sobald aber diese Enttäuscung eintrat, ging das schlewigsche Dänentum zurück und der Marsch über die Königsau war ein Marsch ins Verderben. Obwohl Deutschland noch immer mit dem Zusammenbruch ringt, den ihm der jüdische Dolchstoss beschert hat, ist im dänischen Schleswiger die Enttäuschung bereits eingetreten und wird uns Deutschen gegenüber in keiner Weise verhehlt. Wie wird's werden, wenn die Riesenkräfte Deutschlands den Zusammenbruch überwunden haben, der jenseits der notwendigen Krise der Ruhrbesetzung überwunden werden wird, da das englische Staatsinteresse mit eiserne Notwendigkeit die Ueberwindung verlangt? Welchen Weg nimmt die nationale Entwicklung, wenn der enttäuschte dänische Schleswiger dann zum erstenmal in seiner Geschichte sehnsüchtig nach Süden blickt? Und wie soll die Enttäuschung im dänischen Schleswiger verhindert werden, wenn Pontoppidan selber am dänischen Staat schlankweg verzweifelt?

Die Vereinigung Nordschleswigs mit Dänemark ist vor so lächerlich kurzer Zeit erfolgt dass uns allen noch ist, als wäre es gestern geschehen. Trotzdem aber zeigt Nordschleswig bereits genau die Krankheitssymptome, die Pontoppidan in seinem Roman geschildert. Die Zersetzung Dänemarks hat auch das schleswigsche Dänentum zersetzt. Was früher eine Einheit war und sich durch einen starken Geist des Lebens auszeichnete, hat sich in Parteien aufgelöst und trachtet einander nach dem Leben. Die idealistische Pflege des Dänentums ist vergiftet und man rauft um den Parteiklüngel wie das ganze übrige Dänemark. Obwohl die Annexion Nordschleswigs die Kräfte Dänemarks vollständig übersteigt, hat ein Teil der Dänen so sehr jedes Augenmass verloren, dass er im rein deutschen Schleswig mit Hilfe dänischer Kronen eine verbrecherische Agitation betreibt, die beim ersten narionalen Atemzug Deutschlands zu einer wilden Explosion führen muss. Wohin das Auge in Nordschleswig blickt, sieht es die Zeichen der Auflösung und des Verfalls. Dänemark ist durch die Vereinigung nicht gesund, Nordschleswig aber ist krank geworden. Der alte Gegensatz zwischen Deutschen und Dänen ist abgeschwächt und beide schleswigschen Lager fühlen sich in einem neuen Gegensatz zu den eingewanderten Reichsdänen, die die Krankheit ins Land gebracht haben. Wenn aber ein so bitteres Unglück Wirklichkeit zu werden beginnt, ergeht auch von den Dichtern, die den Zustand ihres Landes als verzweifelt kennen, kein mahnender Hinweis auf den zerrütteten Staat, sondern sie preisen das Ereignis in schönen Versen. Dass doch auch die besten Dänen immer noch Dänen sein müssen! –
 

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