Drei Jahre nach seiner zweiten Eheschließung, im Jahr 1550, begann Nostradamus mit der Verfassung von jährlichen Almanachen, in denen die ersten Prophezeiungen für das jeweilige Jahr abgedruckt wurden. Diese Broschüren wurden mit Prophezeiungen in Prosa und auf Französisch anstatt des bisher üblichen Latein veröffentlicht. Nostradamus hielt an der Veröffentlichung dieser Almanache, die ihm eine erste Berühmtheit verschafften, bis zu seinem Todesjahr fest. Seit 1555 enthielten sie auch Vierzeiler. Im selben Jahr gab er in Lyon eine größere Menge an Prophezeiungen in Vierzeilern als Les Propheties de M. Michel Nostradamus heraus, bestehend aus vier „Centurien“, die sich ihrerseits wiederum aus drei Mal hundert und einmal 53 Quatrains genannten Vierzeilern zusammensetzten.
Typische Merkmale seiner Prophezeiungen sind das fast vollständige Fehlen von konkreten Zeitangaben und Namen und eine sehr metaphorische Sprache, die im Manuskript wahrscheinlich ganz ohne Interpunktion auskam, was die Prophezeiungen bis in unsere Zeit rätselhaft macht und immer neue Deutungen zulässt. Viele der Verse enthalten Verweise auf astrologische Konstellationen. Auch wurde festgestellt, dass viele der Prophezeiungen Paraphrasen historischer Texte sind, die zum Beispiel aus De honesta disciplina des Petrus Crinitus, dem Liber prodigiorum des Iulius Obsequens, oder dem Mirabilis Liber von 1523, einem Bibelkommentar, stammen.
Etwas klarer spricht Nostradamus im Vorwort an seinen Sohn César über seine Prophezeiungen und erklärt, diese reichten „von heute bis ins Jahr 3797“, ohne aber auf ihren Inhalt einzugehen. Die Jahresangabe ist, wie gesagt, eher ungewöhnlich. Wenn man davon jedoch das Jahr der Veröffentlichung 1555 abzieht, dann kommt man auf einen Geltungszeitraum von 2242 Jahren. Fünf Jahre zuvor hatte seine größte astrologische Quelle, Richard Roussats Livre de l’etat et mutations des temps, das Jahr 2242 als möglichen Termin für das Ende der Welt veröffentlicht. Bis zu seinem Tod veröffentlichte Nostradamus sieben Centurien – von drei weiteren wird ohne Beleg angegeben, sie seien bereits zu seinen Lebzeiten 1558 erschienen. Daneben sollen sich in seinem Nachlass weitere Texte befunden haben, die zum Teil in Prosa verfasst waren, zum Teil als Sechszeiler. Die Prosatexte sind (wenn nicht die Almanache selbst) verloren gegangen, die Sechszeiler werden als 11. und 12. Centurie gehandelt, obwohl sie bei weitem nicht aus 200 Strophen bestehen. Eine auch für Nostradamus unerfreuliche Tatsache war es, dass bereits kurz nach dem Erscheinen seiner Prophezeiungen nicht nur Schmähschriften gegen ihn, sondern auch Fälschungen kursierten, um von seinem Erfolg zu profitieren.
Erst 1614 verband sein Sohn César erstmals die Strophe 35 der ersten Centurie von 1555 mit dem Tod König Heinrichs II. (Nostradamus selbst hatte angeblich nie von der Idee gehört, nahm für dieses historische Ereignis in einem Brief von 1562 an Jean de Vauzelles vielmehr die Strophe III.55 in Anspruch). Die spektakuläre Deutung dieser Strophe wird oft fälschlich als Grund für die Berühmtheit des Propheten angegeben:
„Le lyon ieune le vieux surmontera,
En champ bellique par singulier duelle:
Dans cage d’or les yeux luy creuera,
Deux classes une, puis mourir, mort cruelle.“
„Der junge Löwe wird den alten besiegen,
Auf dem Schlachtfeld in einem einzigen Duell:
Im goldenen Käfig wird er ihm die Augen ausstechen,
Zwei Flotten [oder: Armeen] einig, dann wird er einen grausamen Tod sterben.“
Am 30. Juni 1559, bei der Feier des Friedens von Cateau-Cambrésis, bestritt Heinrich II. (* 1519) auf der Rue Saint-Antoine in Paris einen Turnierzweikampf mit stumpfen Waffen mit dem Grafen Montgomery (* um 1530), dem Hauptmann der schottischen Garde; dessen Lanze brach. Ein Splitter drang durch das Visier des Helms über dem rechten Auge des Königs ein. Heinrich II. starb zehn Tage später, am 10. Juli, an einer Hirnhautentzündung.
Obwohl dieser Quatrain häufig angeführt wird, wenn ein Beispiel für Nostradamus’ erfolgreiche Prophetie zu geben ist, ist er durchaus nicht präzise auf den Tod Heinrichs II. zu beziehen. Dass Heinrich einen goldenen Helm trug, ist nicht belegt. Auch die Bezeichnung des Gegners als junger bzw. alter Löwe ist unklar: Man hat es auf die Turnierembleme gedeutet, jedoch ist weder von Heinrich noch von Montgomery die heraldische Verwendung eines Löwen belegt (das Emblem der Valois-Könige ist zudem der Hahn). Der Lanzensplitter drang nicht ins Auge, sondern darüber ein, das Auge selbst blieb unverletzt. Es handelte sich auch nur um eine Wunde, obwohl einige Berichte von einer weiteren Verletzung am Hals sprechen. Leitet man classes alternativ zum griechischen klasis vom lateinischen classis (Flotte) ab, wird der Sinn auch nicht klarer. Und schließlich kann ein Turnierkampf nur übertragen als Duell auf dem Schlachtfeld gelten. |