Dieser Roman Tolstois ist der schlechteste, den der berühmte Autor geschrieben hat, — insofern ein Roman uns leichte, leere Unterhaltung bieten soll. Und er ist der beste Roman Tolstois, einer der besten Romane, die die Welt überhaupt gesehen hat, — insofern der Roman, neben dem Theater, das modernste und erhabenste Mittel der Kunst ist, auf die Menschheit zu wirken, sie zu erziehen, zu veredeln. Wir sagen nicht zu viel, und die Zukunft wird uns Recht geben, wenn wir behaupten, daß nur sehr wenige Romane der Weltliteratur von so großem Einfluß auf ihre Zeit gewesen sind, wie dieser es für die seinige werden wird.
Das Lügengespinnst, daß das moderne soziale Leben umwoben, zerreißt der große Philosoph Tolstoi mit starker, rücksichtsloser Hand, um dem noch größeren Künstler Tolstoi Raum zum Aufbau einer neuen Weltordnung zu geben, die aus den Trümmern der alten in hinreißender, fast greifbarer Schönheit ersteht.
In der »Auferstehung« ist Tolstoi dem in seinem letzten Werke (Was ist Kunst?) aufgestellten Prinzip, daß wahre Kunst auf alle wirken müsse, treu geblieben. In der That wird dieser Roman alle gleich stark ergreifen, den Greis und die Jungfrau, den Mann aus dem Volk und den von den »Zehntausend«, — freilich in ganz verschiedener Weise. Aber alle werden sie dem, allein durch die Liebe bezwingenden Worte des Dichters unterthan werden, und niemand wird das Buch aus der Hand legen können, ohne daß es für sein Leben die Bedeutung einer Epoche gewonnen hätte.
In Bezug auf den Dichter selbst darf man wohl sagen, daß »Anna Karenina« und »Auferstehung« die beiden Grenzpunkte in seiner Entwickelung, in seinem eigenen Leben geworden sind. Darum wird auch der, den der gleißende Zauber des ersten Buches bestrickt hat, unentrinnbar der qualvoll-süßen Erkenntnis des letzten verfallen.
Die Übersetzung geschieht nach der zensurfreien, außer halb Rußlands erscheinenden Ausgabe und ist daher unverkürzt. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, die längeren Perioden des russischen Originals in kürzere, leicht verständliche Sätze aufzulösen und somit ein gutes, lesbares Deutsch zu bieten.
Übersetzer: Wladimir Czumikow, 1900
Editor: Hans-Jürgen Horn |