In Das Gänsemädchen von Dohrma schildert Hedwig Courths-Mahler eine zarte, von gesellschaftlichen Schranken geprägte Liebesgeschichte in ländlicher Umgebung, in der die titelgebende Gestalt – ein schlichtes „Gänsemädchen“ – zu einem Symbol für Reinheit, Sehnsucht und Mut wird. Die Handlung spielt in der Dorfgemeinschaft von Dohrma, deren Alltag in pastoraler Unaufgeregtheit und doch mit subtilen Konflikten zwischen Stand, Schicksal und Herzenswunsch verwoben ist.
Die Protagonistin Margot, im Schatten familiärer und sozialer Erwartungen, ringt um Selbstbehauptung und Liebe. Courths-Mahler zeigt mit feinem Einfühlungsvermögen, wie innere Würde und Treue auch in Widrigkeiten standhalten – besonders in einer Zeit, in der weibliche Lebenswege oft vorgezeichnet waren.
Literarisch überzeugt der Roman durch eine klare, unprätentiöse Sprache und eine erzählerische Struktur, die von Emotionalität und moralischer Klarheit getragen wird. Die Figuren sind idealtypisch angelegt, Klischees bleiben nicht aus, doch gerade darin liegt auch der Reiz: Der Kontrast zwischen Idylle und Konflikt, das Hoffen gegen alle Widerstände. Courths-Mahler bewegt sich damit im Feld jener Unterhaltungsromane des frühen 20. Jahrhunderts, in denen das romantische Ideal den Sieg über Standesgrenzen und soziale Zwänge erringt – ein Motiv, das sie in vielen ihrer über 200 Romane verfolgt.
Kritisch lässt sich anmerken, dass die Handlung an manchen Stellen vorhersehbar wirkt und das statische Rollenverständnis heutiger Leserschaft befremden kann. Doch gerade als Zeitdokument und Spiegel jener Epoche besitzt diese Erzählung ihren Reiz – sie lädt ein, nicht nur in die Welt von Margot, sondern in eine vergangene Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Liebe zu blicken.
Dresden, 1911
Übersetzer: Druck und Verlag von Rich. Herm. Dietrich
Editor: Hans-Jürgen Horn |