In Hendrik Consciences Erzählung „Das Glück, reich zu sein“ entfaltet sich eine feinsinnige Parabel über Besitz, Moral und das wahre Wesen des Glücks. Wie in vielen seiner Werke wendet sich der flämische Erzähler dem einfachen Menschen zu und fragt, was Reichtum tatsächlich bedeutet – materiell, aber auch seelisch. Die Geschichte schildert das Leben eines Mannes, der im Streben nach Wohlstand glaubt, die Erfüllung gefunden zu haben, nur um schließlich zu erkennen, dass das Glück weder im Gold noch in gesellschaftlichem Ansehen liegt, sondern in der inneren Zufriedenheit und im Mitgefühl mit anderen.
Conscience, der oft als „Vater der flämischen Literatur“ bezeichnet wird, zeigt hier sein psychologisches Gespür und seine ethische Überzeugungskraft. Hinter der schlichten Erzählform steht ein tiefes soziales Bewusstsein: Die Kritik an Egoismus, Eitelkeit und Klassenunterschieden ist unverkennbar, zugleich aber von Wärme und Menschlichkeit getragen. In seiner poetischen Sprache verbindet Conscience moralische Belehrung mit volkstümlicher Erzählkunst – eine Verbindung, die seinen Stil so unverwechselbar macht.
„Das Glück, reich zu sein“ gehört zu jenen moralischen Novellen, in denen Conscience das Gute im Menschen sucht und zugleich mahnt, den eigenen Charakter zu prüfen. Es ist ein Spiegel seiner Zeit, aber auch eine universelle Lehre: dass Besitz ohne Herzensbildung leer bleibt und nur das geteilte Glück wahrhaft reich macht.
Leipzig, 1855
Illustrationen: J. Bertou
Übersetzer: Dr. August Scheler
Editor: Hans-Jürgen Horn |