Hendrik Conscience (1812–1883) „Ik leerde mijn volk lezen.“ – Ich lehrte mein Volk lesen.
Hendrik Conscience, geboren am 3. Dezember 1812 in Antwerpen und gestorben am 10. September 1883 in Elsene bei Brüssel, gilt als der Vater der flämischen Literatur. In einer Zeit, in der das Französische die Sprache der Bildung und Kultur in Belgien dominierte, entschied er sich bewusst für das Niederländische (Flämische) – und wurde so zum Symbol einer sprachlichen wie kulturellen Selbstbehauptung.
Sein Vater, Pierre Conscience, war ein französischer Marineoffizier, der nach Napoleons Niederlage in Antwerpen sesshaft wurde. Seine Mutter, Cornelia Balieu, war eine flämische Weberin. In der Werkstatt des Vaters kam der junge Hendrik früh mit Büchern in Berührung; doch das Leben war hart, und nach dem Tod der Mutter geriet die Familie in wirtschaftliche Not. Conscience besuchte zunächst eine Militärschule, diente während der belgischen Revolution von 1830 als Freiwilliger und blieb bis 1836 Soldat. Danach entschloss er sich, seine wahre Berufung zu suchen: das Schreiben.
Sein literarisches Debüt, In ’t Wonderjaer (1837), thematisierte die Religionskämpfe des 16. Jahrhunderts. Den Durchbruch brachte 1838 De Leeuw van Vlaenderen („Der Löwe von Flandern“), ein historischer Roman über den Freiheitskampf der Flamen in der Schlacht von Kortrijk 1302. Dieses Werk machte ihn zu einer nationalen Figur und gilt bis heute als Gründungsdokument der flämischen Literatur. In ihm verband Conscience Patriotismus mit romantischem Pathos, historischem Idealismus und volkstümlicher Erzählkunst.
In den folgenden Jahrzehnten wurde Conscience zu einem der produktivsten Schriftsteller Belgiens. Über 100 Romane, Erzählungen und Novellen stammen aus seiner Feder, darunter De arme edelman (1851), Blinde Rosa (1850) und De kerels van Vlaanderen (1871). Er schuf einfache, moralisch aufgeladene Geschichten, die sowohl unterhielten als auch bildeten – Geschichten über Bauern, Bürger, Tugend und Heimat. Seine Bücher fanden ein breites Publikum, wurden vielfach übersetzt und erreichten Millionen von Lesern – nicht zuletzt, weil sie in einer Sprache geschrieben waren, die das Volk verstand.
Kritiker werfen Conscience später vor, er habe das Leben idealisiert und romantisch verklärt. Doch gerade in dieser Mischung aus Gefühl, Moral und Heimatverbundenheit liegt seine historische Bedeutung. Sein Schaffen führte zu einer neuen nationalen Selbstwahrnehmung: Er lehrte ein ganzes Volk, sich selbst zu lesen. Der Satz, der ihm zugeschrieben wird – „Ik leerde mijn volk lezen“ – ist daher mehr als nur ein Sprichwort; er ist Vermächtnis und Programm zugleich.
Hendrik Conscience wurde 1845 zum Ritter des Leopoldsordens erhoben und später Direktor des Königlichen Museums der schönen Künste in Brüssel. Sein 70. Geburtstag wurde landesweit gefeiert. Als er 1883 starb, erhielt er ein Staatsbegräbnis – ein Ehrenzeichen für den Mann, der aus dem Schatten der französischen Kultur trat, um das flämische Wort in die Sonne zu führen. Heute erinnert die Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience in Antwerpen an sein Lebenswerk – eine Sammlung, die, wie sein Name, das literarische Gedächtnis Flanderns bewahrt.
Werke: In Hendrik Consciences Erzählung „Das Glück, reich zu sein“ entfaltet sich eine feinsinnige Parabel über Besitz, Moral und das wahre Wesen des Glücks. Wie in vielen seiner Werke wendet sich der flämische Erzähler dem einfachen Menschen zu und fragt, was Reichtum tatsächlich bedeutet – materiell, aber auch seelisch. Die Geschichte schildert das Leben eines Mannes, der im .... Weiterlesen... | |
Hendrik Conscience, der „Vater der flämischen Literatur“, gelingt mit Der Bahnwärter eine leise, menschlich berührende Erzählung aus der Schwelle zur industriellen Zeit. Der Autor richtet den Blick auf einen einfachen Mann, der am Rand der neuen Eisenbahnlinie wacht – ein Wächter des Fortschritts, aber auch ein Hüter der alten Welt. Zwischen dampfenden Lokomotiven, ratternden .... Weiterlesen... | |
Auszug: "Die junge Frühlingssonne stand in vollem Glänze auf ihrer blauen Himmelsbahn. — Als wäre sie das majestätische Gesicht der Gottheit, die mit lächelndem Blicke der Schöpfung zuriefe. »Auf! Auf! der Winter ist vorüber, erwache zu neuem Leben, und erfreue dich meines Anblicks« — so milde leuchtete sie über Feld und Haide, und erfaßte den nackten Boden mit der Gluth ihrer .... Weiterlesen... | |
Auszug: "An einem schönen Sommertage des Jahres 1846 rollte die Diligence von Antwerpen nach Turnhout wie gewöhnlich über den Steinweg. Die Pferde trappelten, die Räder rasselten, der Wagen knurrte, der Kutscher schnalzte mit der Zunge um die Pferde anzutreiben, in der Ferne schlugen die Hunde an, die Vögel schossen aus den Feldern in die Höhe . . . der Schatten lief .... Weiterlesen... | |
Auszug: "Inmitten einer waldigen Gegend Westflanderns, zwischen Thourout und Yperen, stand noch um die Mitte des fünfzehnten Jahrhundert: in unverändertem Styl die alte Burg Staden, der Stammsitz einer freien Herrschaft, von der verschiedene andere Herrschaften, wie Vallenare, Wankaerde, Westwalle und Lobenstein, abhängig waren.
Feste Watte umgaben sie, und tiefe Gräben, aus .... Weiterlesen... | Hendrik Conscience Deutsch CC 3: by-nc-nd 22.03.2021 615.96 KB 121 1.925 | |
Auszug: "Meine Nichte Frederika, die kleine, liebe — Gott sei ihrem armen Seelchen gnädig — fragte mich oft mit thränenden Augen, warum ihre Mitschülerinnen immer spottend sagten: »Du stehst da wie die hölzerne Clara.« Sie wußte so gut als ich, daß hölzerne Clara der Name eines Bildes war, was an der Treppe des Antwerpner Mägdehauses (Waisenhaus für Mädchen) stehet, aber sie .... Weiterlesen... | |
Auszug: "In einem Nachmittage im Monat Januar 1847 schritten zwei Jünglinge singend, jauchzend und voll Lebensluft über die Landstraße, die von Ninove nach Brüssel führt.
Sie konnten kaum das Alter von sechszehn Jahren erreicht haben und hatten ganz das Aussehen von Studiosen des Athenäums, welche die Freiheit des Sonntags dazu benutzten, um den Schulstaub von ihren Schultern .. Weiterlesen... | |
Ein Sittengemälde von Hendrik Conscience.
Auszug: "Im Erdgeschoß eines Häuschens in der Winkelstraße zu Antwerpen saß Annemarie, die arme Wittwe des verunglückten Matrosen Jan Boots, und beschäftigte sich mit den Aendern und Flicken beschädigter Kornsäcke.
Das Stübchen, in welchem sie saß, zeugte durch seine traurige Leere von dem Elende seiner Bewohner. .... Weiterlesen... | |
Hendrik Conscience schuf mit Der Löwe von Flandern ( De Leeuw van Vlaanderen, 1838) das wohl berühmteste Werk der flämischen Literatur. Der historische Roman führt in das Jahr 1302, in die Zeit der Schlacht der Goldenen Sporen, als das flämische Bürgertum sich gegen die französische Herrschaft erhob. Conscience verknüpft hier Geschichte, Legende und nationale Mythen zu einem .... Weiterlesen... | |