Hendrik Conscience, der „Erzähler Flanderns“, entführt uns in Das Wunderjahr (1566) in eine Zeit, die in der Geschichte der Niederlande als Wendepunkt zwischen religiöser Erweckung und politischer Katastrophe gilt. Mit epischer Wucht schildert er die Begebenheiten des Jahres 1566 – jenes „Wunderjahrs“, in dem die Bilderstürmer („Beeldenstorm“) die flandrischen Kirchen stürmten, die spanische Herrschaft wankte und das Volk zwischen Glaubenseifer und Freiheitsdrang zerrissen wurde.
Conscience verbindet in diesem Roman historische Genauigkeit mit einem stark moralischen Impuls. Seine Figuren – einfache Bürger, Adelige, Geistliche – werden zu Symbolträgern eines geistigen Kampfes zwischen Fanatismus und Vernunft, zwischen Glauben und Macht. Das Werk, 1837 erstmals erschienen, gehört zu den großen historischen Romanen des Autors und gilt als frühes Beispiel der flämischen Nationalromantik.
Besonders beeindruckend ist Consciences Fähigkeit, das religiöse Pathos der Zeit in eine lebendige Handlung zu verwandeln: Die Schicksale seiner Helden spiegeln den Aufruhr eines ganzen Volkes wider. In der Sprache klingt eine tiefe Ehrfurcht vor Geschichte und Gerechtigkeit mit – doch auch die leise Melancholie über die Opfer, die Freiheit immer fordert. Das Wunderjahr (1566) ist somit weit mehr als ein Geschichtsgemälde: Es ist ein Aufruf zur inneren Erneuerung, zur Versöhnung zwischen Glauben und Menschlichkeit – ein Werk, das die Geburtsstunde einer Nation mit literarischer Größe festhält.
Regensburg, 1846
Übersetzer: Friedrich Pustet
Editor: Hans-Jürgen Horn |