Ihr Retter in der Not von Hedwig Courths-Mahler (erschienen 1926) entwirft ein bewegendes Bild von Liebe, Schicksal und gesellschaftlicher Zumutung. In dieser Erzählung gerät eine zarte Heldin durch unverschuldete Umstände in eine existenzielle Krise, aus der sich ihr Retter — oftmals ein Mann mit zumindest mittlerem Rang — opferbereit erhebt. Damit empfängt das Motiv der Rettung eine doppelte Bedeutung: äußerlich als materielle Hilfe und innerlich als Befreiung aus Verzweiflung und Einsamkeit.
Courths-Mahler bleibt ihrem typischen Erzählschema treu: eine junge Frau, in prekären Verhältnissen, kämpft gegen gesellschaftlichen Druck und familiäre Widerstände. Durch den Eingriff eines gütigen Mannes – des „Retters“ – findet sie neuen Lebensmut, Schutz und Liebe. Dabei entfaltet sich die Geschichte nicht nur als romantischer Plot, sondern als Spiegel jener Zeit, in der viele Frauen in existenzieller Abhängigkeit standen. Courths-Mahler gelingt es, mit einfacher, aber emotionaler Sprache die Sehnsüchte der Protagonistin nach Anerkennung und Geborgenheit nachfühlbar zu machen.
Als Teil des Sammelbandes „Annedores Vormund / Ihr Retter in der Not“ erscheint der Text in seiner Originalfassung von 1926 – eine Fassung, die den ursprünglichen, ungekürzten Ton wahrt. Die Kürze der Erzählung erlaubt eine konzentrierte Wirkung: kaum Ablenkung, kein unnötiger Ballast, sondern eine Fokussierung auf Kernthema und Figurenkonflikt.
Kritisch betrachtet: Der Plot folgt stark klischeebehafteten Mustern der Liebesliteratur und romantisiert die Unterdrückung weiblicher Selbstständigkeit. Die Heldin wirkt stellenweise zu passiv, ihr Retter zu idealisiert. Dennoch darf man das nicht ausschließlich als Schwäche lesen – denn gerade der Spannung zwischen Unfreiheit und Erlösung liegt der Reiz des Werkes. Courths-Mahler spricht in diesem kleinen Werk nicht nur Romantikerinnen an, sondern auch Leser:innen, die das literarische Genre des sentimentalen Dramas schätzen und den historischen Blick auf Geschlechterrollen lieben.
In Summe ist „Ihr Retter in der Not“ eine typischer und dabei stimmiger Beitrag Courths-Mahlers zum kanonischen Genre des Damenromans. Für Liebhaber klassischer Liebesgeschichten mit nostalgischem Flair und für Leser:innen, die sich für Literatur der Zwischenkriegszeit interessieren, bietet dieses Werk eine nostalgische, leicht melancholische Lektüre mit starkem emotionalem Kern.
Leipzig / Bern, 1926
Editor: Hans-Jürgen Horn |