Oscar Wilde – der große Ästhet unter den Erzählern – verwandelt in seinen „Märchen“ das Kindhafte in eine poetische Versuchung der Seele. In zwei Sammlungen, Der glückliche Prinz und andere Märchen (1888) und Ein Granatapfelhaus (1891), entfalten sich insgesamt neun Erzählungen, die voller Mitgefühl, Ironie und moralischer Schönheit glühen: Der glückliche Prinz, Die Nachtigall und die Rose, Der selbstsüchtige Riese, Der ergebene Freund, Die bedeutende Rakete, Der junge König, Der Geburtstag der Infantin, Der Fischer und seine Seele und Das Sternenkind.
Diese Märchen sind keine bloßen Kindergeschichten, sondern Gleichnisse über Liebe, Eitelkeit und Erlösung. Der glückliche Prinz opfert sich, um den Armen zu helfen, während die Nachtigall sich für die Idee der Liebe selbstblutig opfert. Wilde kleidet die Tragik des Lebens in glitzernde Allegorien – voller Schönheit und stiller Verzweiflung.
Seine Sprache ist kunstvoll und zugleich von tiefer Zärtlichkeit durchdrungen; hinter der Fassade von Märchenhaftigkeit steht eine theatralische, fast mystische Moral: Schönheit ohne Güte ist leer, Güte ohne Schmerz unmöglich. So schwingt in jedem Satz eine melancholische Musik – eine Erinnerung daran, dass Liebe und Leid aus derselben Quelle fließen.
Wilde schreibt Märchen, die nicht einschläfern, sondern aufwecken. Sie sind wie Spiegel aus Glas und Schmerz: zerbrechlich, funkelnd, aufrüttelnd. |