Leon Gozlans Werk ist eine märchenhafte Erzählung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – halb Parabel, halb fantastische Reisegeschichte. Der Roman beginnt in einem glänzenden Palast auf den Borromäischen Inseln, wo der junge Prinz Leopold-Leopoldini (Hempseed) und seine Schwester Olympia in sorglosem Reichtum leben. Als das Schicksal sie aus dieser Welt des Überflusses hinausführt, beginnt eine märchenhafte Odyssee durch ein Europa voller Wunder, Prüfungen und moralischer Verwandlungen.
Gozlan entfaltet ein Panorama, das an die klassischen französischen Feenmärchen erinnert, aber in seinem Ton bereits an die ironischen Gesellschaftsbilder der Julimonarchie grenzt. Prinz Hempseed ist nicht bloß ein naiver Held, sondern eine Figur im Wandel: vom behüteten Sohn zum suchenden Menschen, der Tugend, Gerechtigkeit und Mitgefühl erst in der Welt entdecken muss. Die kleine Schwester Olympia verkörpert dabei Reinheit und Hoffnung – beide zusammen bilden das moralische Gegengewicht zu einer Welt der Eitelkeit und Machtgier.
Die Erzählung lebt von ihrer bildreichen Sprache: Marmorschlösser, Rosenhänge, Feen, Zauberer, sprechende Tiere – all das entfaltet sich wie ein Kaleidoskop romantischer Einbildungskraft. Und doch spürt man darunter den skeptischen Ton eines Autors, der in jedem Wunder auch eine gesellschaftliche Allegorie sieht. So wird das Märchen zu einer moralischen Satire über Verantwortung und Menschlichkeit – poetisch, humorvoll, bisweilen melancholisch.
In der Tradition von Voltaire und Balzac steht Gozlans „Prinz Hempseed“ zwischen Märchen und Moderne – ein vergessenes Kleinod, das den Leser daran erinnert, dass selbst die phantastischsten Abenteuer letztlich innere Wege sind.
Editor: Hans-Jürgen Horn