Wilkie Collins, bekannt als Meister des viktorianischen Spannungsromans, zeigt sich in Ein unverdienter Tod von seiner stilleren, fast poetischen Seite. Die kurze Erzählung entführt uns nicht in die Welt der Intrigen oder Verbrechen, sondern in das Innere einer Frau, die unter der Last ihrer Vergangenheit schweigt.
Im Mittelpunkt steht Esther Calvert, eine junge Engländerin, die in den Wirren der amerikanischen Revolutionszeit Zuflucht in einem fremden Haus sucht. Sie wirkt freundlich, zuverlässig, aber unnahbar. Ihr schwarzes Kleid, ihr stilles Wesen und die Weigerung, über ihr früheres Leben zu sprechen, lassen erahnen, dass sich hinter ihrer Sanftmut eine Tragödie verbirgt. Collins enthüllt nur Bruchstücke – Erinnerungen an verlorene Liebe, Schuld und gesellschaftliche Ächtung –, bis am Ende klar wird, dass ihr Tod, „unverdient“ wie der Titel sagt, nicht aus Schuld, sondern aus Schicksal geboren ist.
Collins’ Sprache bleibt schlicht und beherrscht. Ohne Pathos, aber mit tiefer Empathie beschreibt er eine Frau, die von der Welt unverstanden bleibt. Diese Zurückhaltung ist zugleich Stärke und Schwäche der Erzählung: sie macht sie glaubwürdig und feinfühlig, lässt aber wenig Raum für dramatische Entwicklung. Dennoch bleibt das Werk eindrucksvoll – ein Beispiel für Collins’ psychologische Beobachtungsgabe, die hier ohne Kriminalfall, allein durch die stille Tragik des Alltags wirkt.
In Ein unverdienter Tod offenbart sich die andere Seite des Autors: der Chronist der unerhörten Lebensgeschichten, der das Leid im Unspektakulären sucht. Eine leise, aber anrührende Geschichte über Schuld, Schweigen und das Bedürfnis nach Vergebung.
Editor: Hans-Jürgen Horn |