In Eine verhängnisvolle Erbschaft (engl. „A Fatal Fortune“) zeigt Wilkie Collins seine leise, psychologisch gespannte Seite: Ein zufälliges Gespräch im Hyde Park, eine unbedachte Bemerkung – und aus Andeutungen wächst ein Netz aus Verpflichtungen, Heimlichkeiten und Schuld. Der junge Roland Cameron, Träger einer unerwarteten Erbschaft, bewegt sich zwischen gesellschaftlicher Fassade und innerer Unruhe; die Erbschaft wird zum Prüfstein, nicht zum Glück.
Collins strukturiert die Erzählung als „Geschichte in zwei Teilen“ und verschiebt behutsam Perspektiven. Statt lauter Sensation setzt er auf Zwischentöne: Dialoge, Briefe und kleine Gesten tragen die Spannung. Gerade die Zurückhaltung erzeugt Sog – die moralischen Fragen (Wer schuldet wem was? Was kostet Wohlstand?) hallen länger nach als jede plötzliche Enthüllung.
Wer Collins nur über Die Frau in Weiß oder Der Monddiamant kennt, entdeckt hier eine „stille“ Variante seiner Kunst: ein feines Charakterstück über Besitz, Verantwortung und das Unausgesprochene. Kleinere Unschärfen – je nach deutscher Fassung – mindern den Reiz kaum, denn der Text lebt von Atmosphäre und moralischer Grauzone.
GB, 1874
Übersetzer: Daniel Stark
Editor: Daniel Stark, Hans-Jürgen Horn
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