Wilkie Collins’ Roman Mann und Weib (Man and Wife, 1870) ist ein eindringliches Zeitbild des viktorianischen Englands, das zwischen Sensationsroman und sozialer Anklage oszilliert. Im Zentrum steht Anne Silvester, die durch eine verhängnisvolle Versprechensehe in einen Strudel von Missverständnissen, juristischen Grauzonen und gesellschaftlichen Zwängen gerät. Collins führt vor Augen, wie leicht ein unbedachtes Wort – ein „Meine Frau“ zur falschen Zeit – über das Leben einer Frau entscheiden kann.
Besonders eindringlich prangert der Autor die widersprüchlichen Ehegesetze Englands und Schottlands an. Die Konstruktion der „irregulären Ehe“ wird hier nicht nur literarisches Motiv, sondern politisches Werkzeug: Collins nutzt die Form des Romans, um auf Reformbedarf hinzuweisen. Parallel dazu zieht er ein zweites gesellschaftliches Thema heran – den Kult um körperliche Leistungsfähigkeit. Geoffrey Delamayn, der athletische Gegenspieler, verkörpert eine Gesellschaft, die Stärke und Sport über Moral und Verantwortung stellt.
Spannung entsteht aus einem raffinierten Netz von Intrigen, Verwechslungen und Erpressung, doch zugleich durchdringt Collins’ moralischer Eifer die Handlung. Das macht Mann und Weib zu einem Werk, das weniger durch psychologische Feinzeichnung als durch programmatischen Ernst besticht. Besonders eindrucksvoll ist die Figur der Hester Dethridge, deren tragisches Schicksal einen düsteren Gegenpol zur gesellschaftlichen Debatte liefert.
So bleibt der Roman ein fesselndes Beispiel für Collins’ Fähigkeit, Unterhaltung und Gesellschaftskritik zu vereinen. Er verbindet romantische Verwicklungen mit juristischen Streitfragen und zeigt, wie eng persönliches Glück und gesetzliche Normen verflochten sind – eine Botschaft, die auch heute noch nachhallt.
Diese Ausgabe beinhaltet alle 6 Bände in einem.
Überarbeitete Version Jänner 2021 - Korrekturen und Illustrationen hinzugefügt.
Erstversion November 2019
Übersetzer: Ernst Julius Günther / Dr. Emil Lehmann, 1871
Editor: Hans-Jürgen Horn |