Wilkie Collins’ Roman Zwei Schicksalswege (The Two Destinies, 1876) führt den Leser in die stillen Tiefen menschlicher Verbundenheit. Hier begegnen sich zwei Seelen – George und Mary – in einer Welt, die von gesellschaftlicher Pflicht und innerer Sehnsucht gleichermaßen bestimmt ist. Ihre Wege trennen sich, doch ein unsichtbares Band hält sie über Raum und Zeit hinweg zusammen.
Collins entfaltet diese Geschichte mit der feinen Hand eines Psychologen. Statt spektakulärer Sensationen bietet er eine leise Spannung, getragen von Emotion, Erinnerung und einer fast mystischen Ahnungskraft. Gedankenübertragung, Vorahnung, Zufall – das Übersinnliche ist nie laut, sondern wie ein Atemzug zwischen den Seiten. So entsteht ein Roman, der zugleich romantisch und metaphysisch wirkt.
Die Stärke liegt in der Sprache: Collins malt innere Zustände, die zwischen Hoffnung und Entsagung schweben. Seine Figuren sind Menschen im Übergang – gefangen zwischen Vernunft und Gefühl, zwischen gesellschaftlicher Konvention und der Macht des Schicksals.
Wer die lauten Effekte seiner früheren Sensationsromane erwartet, wird hier auf andere Weise gefesselt: durch das Schweigen, durch die Tiefe, durch die zarte Frage, ob Liebe wirklich über alles hinaus Bestand haben kann. Ein stiller, poetischer Roman über die geheimnisvolle Macht des Schicksals – und über die Wege, die sich nie ganz verlieren.
Illustrationiert
Berlin, 1877
Übersetzer: Roman-Magazin des Auslandes
Editor: Hans-Jürgen Horn |