„Der Geizhals“ von Hendrik Conscience ist eine moralische Erzählung, die das menschliche Herz zwischen Habgier und Mitgefühl seziert. Mit der psychologischen Genauigkeit eines frühen Realisten entwirft Conscience das Porträt eines Mannes, der vom Drang nach Besitz zerfressen wird – und dabei die Liebe, die Familie und das eigene Seelenheil verliert.
Wie in vielen seiner Werke stellt der flämische Erzähler das einfache Bürgertum in den Mittelpunkt. Sein Geizhals, ein sinnbildlicher Bruder des Harpagons aus Molières Komödie, ist weniger komisch als tragisch. Conscience legt die Mechanismen einer Gesellschaft offen, in der Geld die Herzen verhärtet und Tugend zu einer Ware verkommt. Doch unter der moralischen Oberfläche liegt ein zutiefst humanes Anliegen: die Hoffnung auf Läuterung.
Sprachlich bewegt sich der Autor zwischen volkstümlicher Wärme und biblischer Eindringlichkeit. Er schreibt mit dem Ernst eines Predigers und der Sensibilität eines Volksfreundes. Das Werk – erschienen in der Mitte des 19. Jahrhunderts – gehört zu jenen Erzählungen, mit denen Conscience den flämischen Roman zur europäischen Literatur erhob. „Der Geizhals“ ist damit nicht nur ein Sittenbild, sondern auch ein Aufruf zur Mäßigung, zum Erkennen des wahren Reichtums: Menschlichkeit.
Leipzig, 1852
Illustrationen: Eduard Dujardin
Übersetzer: Philipp Gigot
Editor: Hans-Jürgen Horn |